Argumente & häufige Fragen

Initiativtext

Eidgenössische Volksinitiative
«Für eine sichere Ernährung – durch Stärkung einer nachhaltigen inländischen Produktion, mehr pflanzliche Lebensmittel und sauberes Trinkwasser (Ernährungsinitiative)»

Neuer Text in Rot. Die Bundesverfassung wird wie folgt ergänzt:

Art. 104a Ernährungssicherheit

1 Zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln einschliesslich sauberen Trinkwassers schafft der Bund Voraussetzungen für:

a. die Sicherung der Grundlagen für die landwirtschaftliche Produktion, insbesondere des Kulturlandes, der Biodiversität und der Bodenfruchtbarkeit sowie die Förderung von natürlichem, samenfestem Saat- und Pflanzgut;

abis. die Sicherung der Grundwasserressourcen für die nachhaltige Trinkwassergewinnung;

b. eine standortangepasste und ressourceneffiziente Lebensmittelproduktion;

c. eine auf den Markt ausgerichtete und zugleich nachhaltige, klimabewusste Land- und Ernährungswirtschaft;

d. grenzüberschreitende Handelsbeziehungen, die zur nachhaltigen Entwicklung der Land- und Ernährungswirtschaft beitragen;

e. einen ressourcenschonenden Umgang mit Lebensmitteln.

2 Der Bund strebt einen Netto-Selbstversorgungsgrad von mindestens 70 Prozent an. Zu diesem Zweck trifft er insbesondere Massnahmen zur Förderung einer vermehrt auf pflanzlichen Lebensmitteln basierenden Ernährungsweise und einer darauf ausgerichteten Land- und Ernährungswirtschaft.

3 Bund und Kantone richten ihre Subventionen, die Förderung von Forschung, Beratung und Ausbildung sowie andere staatliche Anreize so aus, dass sie den Bestimmungen nach den Absätzen 1 und 2 nicht zuwiderlaufen.

Art. 74 Umwelt

Art. 74a Erhaltung der Ökosysteme und der Biodiversität

1 Bund und Kantone sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Erhaltung der Ökosysteme und der Biodiversität.

2 Der Bund lässt namentlich nicht mehr zu, dass die für die Gewässerqualität, die Bodenfruchtbarkeit und die Biodiversität essenziellen, im Jahr 2008 vom Bundesamt für Landwirtschaft und vom Bundesamt für Umwelt als Umweltziele für die Landwirtschaft definierten Höchstwerte für Stickstoffverbindungen und Phosphor überschritten werden.

Art. 197 Ziff. 15 Übergangsbestimmungen zu den Art. 74a und 104a

1 Bund und Kantone erlassen ihre Ausführungsbestimmungen zu den Artikeln 74a und 104a Absatz 1 Einleitungssatz und Buchstaben a, abis und c sowie Absätze 2 und 3 innert fünf Jahren nach deren Annahme durch Volk und Stände.

Die Ausführungsgesetzgebung des Bundes regelt namentlich die Instrumente, die es ermöglichen, die neuen Vorgaben der Artikel 74a und 104a Absatz 1 Einleitungssatz und Buchstaben a, abis und c sowie Absätze 2 und 3 innert zehn Jahren nach deren Annahme zu erfüllen. Bezüglich des angestrebten Netto-Selbstversorgungsgrades legt das Gesetz auch Zwischenziele fest.

3 Die nötigen Anpassungen der landwirtschaftlichen Produktion sind sozialverträglich auszugestalten und werden vom Bund finanziell unterstützt.

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Argumentarium
Initiativkomitee

Daniel Hartmann, Wallisellen
Franziska Herren, Wiedlisbach
Ruth Kuhn, Winterthur
Walter Kummer, Rumisberg
Ariane Le Vaillant, Oberentfelden
Hermann Meier, Oberentfelden
Regina Steiner, Marin-Epagnier

Häufige Fragen

Ist die Lebensmittelversorgung der Schweiz bei Krisensituationen gesichert?

Obschon seit 2017 in der Schweiz die Ernährungssicherheit in der Verfassung verankert ist, liegt der Netto-Selbstversorgungsgrad der Schweiz bei weniger als 50% – die andere Hälfte der Lebensmittel muss importiert werden. Der Anbau von Futter für Nutztiere auf 60% der Ackerflächen statt pflanzliche Lebensmittel ist entscheidend dafür verantwortlich. Ein Land, das seine Lebensmittelversorgung so stark vom Ausland abhängig macht wie die Schweiz, kann die Versorgung der Bevölkerung nicht sicherstellen, wenn Importe wegfallen. Wie schnell das passieren kann, zeigen uns Krisensituationen wie Kriege, Pandemien oder Klimaextreme.

Ist die Versorgung der Bevölkerung mit dem Lebensmittel Nr. 1 sauberem Trinkwasser gesichert? Auch wenn Hitze, Trockenheit, Regen- und Schneemangel infolge der Klimakrise immer öfter auch im Wasserschloss Europas zu Wassermangel führen?

Weder die Kantone noch der Bund wissen, wer wie viel Wasser zu welchem Zweck verbraucht. Noch weniger ist bekannt darüber, wie viel Wasser in den bevorstehenden Wochen und Monaten zur Verfügung stehen wird. Beim Thema Trockenheit ist die Schweiz im Blindflug unterwegs. Die Trinkwasserversorgung ist aber nicht nur durch klimabedingten Wassermangel und fehlende Planungen gefährdet. Noch schwerer wiegt der jahrzehntelang vernachlässigte Schutz des Grundwassers, unserer wichtigsten Trinkwasserressource: In den letzten Jahrzehnten mussten zahlreiche Trinkwasserfassungen aufgegeben werden wegen zu hohen Nitratwerten oder problematischen Pestizidrückständen. Ungenügender Schutz, Klimakrise und fehlende Planungen gefährden die Versorgung mit sauberem Trinkwasser – unserem Lebensmittel Nr. 1.  Deshalb verlangt die Initiative für unsere Ernährungssicherheit nebst genügend Nahrungsmitteln auch genügend sauberes Trinkwasserund dafürdie Sicherstellung der Grundwasserressourcen für die nachhaltige Trinkwassergewinnung der Schweizer Bevölkerung.

Warum sind Biodiversität und Bodenfruchtbarkeit so wichtig für unsere Ernährungssicherheit und das Trinkwasser?

Biodiversität und Bodenfruchtbarkeit sind unverzichtbare Produktionsgrundlagen der Landwirtschaft. Je höher die Biodiversität, desto mehr Erträge in der Landwirtschaft – bei gleichzeitigem Ersatz von Dünger und Pestiziden. Eine nachhaltige Lebensmittelproduktion, die auf Biodiversität und Bodenfruchtbarkeit setzt, sorgt zugleich für sauberes Trinkwasser und ist resistenter gegen wachsende Produktionsunsicherheiten infolge von Klimaextremen wie Hitze und Wasserknappheit. Und sie macht die Lebensmittelproduktion der Schweiz unabhängig von Pestizid- und Kunstdüngerimporten.

Von den 2,8 Milliarden Franken, welche die Steuerzahlenden an die Nahrungsmittelproduktion bezahlten, entfallen 82% auf die Tierproduktion und 18% auf die Pflanzenproduktion.

Produktion und Konsum von tierischen Lebensmitteln werden also staatlich stark gelenkt und unterstützt, während die Produktion pflanzlicher Lebensmittel vernachlässigt wird.
KFL_Bericht_11.09.2020
Landwirtschaft – Was sie uns wirklich kostet – SRF ECO

Warum müssen Seen in der Schweiz mit Sauerstoff künstlich beatmet werden?

16 Millionen Nutztiere leben in der Schweiz. Die Hälfte wird mit Importfutter ernährt. 1,2 Millionen Tonnen jährlich. Die Folge ist zu viel Gülle und Ammoniak, welche unsere Böden, Wälder und Gewässer überdüngen, die Biodiversität und Bodenfruchtbarkeit zerstören sowie unser Trinkwasser mit Nitrat belasten. Zudem lässt zu viel Gülle unsere Seen ersticken: Der Baldegger-, der Hallwiler-, der Sempacher-, der Greifensee und neu der Zugersee müssen daher künstlich mit Sauerstoff versorgt werden.

Warum stärkt ein höherer Selbstversorgungsgrad die Bäuerinnen und Bauern?

Mit mehr Selbstversorgung, wie von der Initiative mit dem Anstreben eines Netto-Selbstversorgungsgrads von mindestens 70% verlangt, erhöht sich automatisch die Nachfrage nach inländisch produzierten pflanzlichen Lebensmitteln und pflanzlichen Rohstoffen für Fleisch- und Milchersatzprodukte. Die Bäuerinnen und Bauern erhalten dadurch mehr Produktionssicherheit und Abnahmesicherheit für ihre Ernten. Mehr pflanzliche Lebensmittel und pflanzliche Rohstoffe für Fleisch- und Milchersatzprodukte anzubauen und zu verarbeiten statt sie zu importieren, schafft Arbeitsplätze sowie Wertschöpfung vor Ort, erhöht die Selbstversorgung der Schweiz und führt zu einem fairen Wettbewerb und zu fairen Produzentenpreisen für Schweizer Produkte.

Man bedenke dazu: 64% der pflanzlichen Lebensmittel, die die Schweizer Bevölkerung konsumiert, werden heute importiert. Bei Pflanzenproteinen wie zum Beispiel Hülsenfrüchten und Nüssen sind es sogar 98%. Auch die pflanzlichen Rohstoffe für den Wachstumsmarkt von Fleisch- und Milchersatzprodukten werden fast ausnahmslos importiert. Zurückzuführen ist dies auf die übermässige Förderung von tierischen Lebensmitteln, die den Anbau von Futter für Nutztiere auf 60% unserer Ackerflächen wirtschaftlicher macht als den Anbau von pflanzlichen Lebensmitteln für uns Menschen. Dieser Futteranbau ist entscheidend dafür verantwortlich, dass die Lebensmittelversorgung der Schweizer Bevölkerung zu mehr als 50 % vom Ausland abhängig ist.

Warum ist für unsere Ernährungssicherheit die Förderung von natürlichem samenfestem Saat- und Pflanzgut wichtig?

Das für die Schweizer Landwirtschaft notwendige Saat- und Pflanzgut wird zu grossen Teilen importiert. Es besteht immer mehr aus nicht nachbaufähigen Hybridsorten, kann also nicht weiter vermehrt werden und muss jedes Jahr neu gekauft werden. Die Initiative verlangt daher zur Sicherung der Grundlagen der landwirtschaftlichen Produktion die Förderung von natürlichem, samenfestem Saat- und Pflanzgut. Samenfest ist eine Pflanzensorte dann, wenn aus ihrem Saatgut Pflanzen wachsen, die dieselben Eigenschaften und dieselbe Gestalt haben wie die Elternpflanzen. Solches Saatgut ist samenfest, sortenrein und nachbaufähig, d.h. es kann natürlich vermehrt werden, sei es durch die Bäuerinnen und Bauern selber oder durch Saat- und Pflanzguthersteller. Das stärkt den Wissenschaftsstandort Schweiz, schafft Know-how in der Züchtung und stärkt den Zugang zu nicht patentierten natürlichen Zuchtpflanzen.

Hinterlässt die Produktion von Importfutter für die Schweiz Umweltschäden im Ausland?

In der Schweiz führt das Importfutter zu enormen Überschüssen an Gülle und Mist. Was aber hier an Dünger zu viel ist, fehlt auf den Ackerflächen im Ausland und muss dort durch Kunstdünger ersetzt werden. Importfutter führt also zu nicht geschlossenen Nährstoffkreisläufen im In- und Ausland. Wir schrecken nicht davor zurück, Futtermittel aus Ländern zu importieren, wo für die Ackerflächen Urwälder gerodet wurden, obschon wir wissen, dass wir damit das Klima schädigen. Diese Wälder sind grosse CO2– und Wasserspeicher und Tresore der globalen Biodiversität. Welches Ausmass an Schäden die Amazonas-Abholzung für die Produktion von Futtermittel (Soja) verursachen kann – auch die Schweiz bezieht Soja aus Brasilien für ihre Nutztiere –, zeigt ein hunderte Kilometer langer Braunalgenteppich in der Karibik. Wenn die Algen auf Land treffen, sind sie hoch giftig und stinken.

Warum steht der Anbau von Futter auf Ackerflächen in direkter Konkurrenz zur menschlichen Ernährung?

Die Wiesen und Weiden der Schweiz eignen sich für die graslandbasierte Fleisch- und Milchproduktion. Hingegen steht der Futteranbau für Nutztiere wie Mais und Getreide auf 60 % von unseren Ackerflächen in direkter Konkurrenz zur menschlichen Ernährung. Denn auf diesen Ackerflächen könnte mit dem Anbau von pflanzlichen Lebensmitteln mehr als das Zehnfache an Kalorien für die direkte menschliche Ernährung produziert und so viel mehr Menschen ernährt werden.

Auch steht die Produktion des Importfutters für die Schweiz in direkter Konkurrenz zur menschlichen Ernährung im Ausland. Denn auf den dafür genutzten Ackerflächen könnten mit dem Anbau von pflanzlichen Lebensmitteln viel mehr Kalorien für die Menschen vor Ort produziert werden.

Wie hoch ist der Antibiotikaeinsatz in der Schweizer Nutztierhaltung?

Nirgendwo in Europa spritzen ­Bauern ihren Milch­kühen so viel Anti­biotika ins Euter wie in der Schweiz. In der Poulet- und Eierproduktion hat sich der Antibiotikaeinsatz von 2020 auf 2021 mehr als verdoppelt. Es werden sogar Reserveantibiotika eingesetzt, da herkömmliche Antibiotika nicht mehr wirken. Antibiotika also, die den Ärzten in der Humanmedizin als letztes Mittel gegen sonst tödliche Infektionen vorbehalten sind. Via Gülle und Mist gelangen dadurch antibiotikaresistente Bakterien auf die Felder, wo unsere Nahrung wächst und so in unsere Lebensmittel, in die Gewässer und in das Trinkwasser. Diese Bakterien wurden von der  Eidgenössische Fach­kommis­sion für biologische Sicherheit zur «grössten Bedrohung für die Gesundheit der Schweizer Bevölkerung» erklärt. 

Warum erhöht die Mehrproduktion von pflanzlichen statt tierischen Lebensmitteln den Netto-Selbstversorgungrad?

Auf 60% unserer Ackerflächen wird der Anbau von Futtermitteln für Nutztiere wie Getreide, Mais gefördert, obschon mit dem Anbau von pflanzlichen Lebensmitteln wie Hülsenfrüchte, Gemüse, Getreide, Kartoffeln pro Hektare das Zehnfache an Kalorien für uns Menschen produziert werden könnte. Der Anbau von Futtermitteln statt pflanzlichen Lebensmitteln auf Ackerflächen ist die Hauptursache dafür, dass unsere Versorgung mit Lebensmitteln zu 50% vom Ausland abhängig und bei fehlenden Importen nicht gesichert ist.

Erhöht die Reduktion von Food Waste den Netto-Selbstversorgungsgrad?

Eine Mehrproduktion von pflanzlichen Lebensmitteln ist der grösste Hebel zur Erhöhung des Netto-Selbstversorgungsgrads. Doch auch die Reduktion von Food Waste trägt markant zu dessen Erhöhung bei. Die Reduktion von Food Waste wird schon seit 2017 mit dem Verfassungsartikel 104a (Ernährungssicherheit) Buchstabe e verlangt («ressourcenschonender Umgang mit Lebensmitteln»). Diese Verfassungsbestimmung muss auch bei der Umsetzung der Initiative «Für eine sichere Ernährung» berücksichtigt werden. Die Reduktion von Food Waste vermindert gleichzeitig die Umweltbelastung durch die Ernährung.